memoria ethnologica nr. 42 - 43 * ianuarie - iunie 2012 ( An XII ) ERICH LAMMERT, GERMANIA1 Cuvinte cheie: medicina populară, istoria medicinei, superstiţii, istoria culturii, relaţii interetnice, german, român, Banat Medicina populară din Banat şi superstiţii legate de boli Rezumat Schiţă biografică Erich (alias Adam Anton Emmerich) Lammert s-a născut în anul 1912 la Carani (Banat). Tatăl, Adam Lammert a fost dascăl în Periam. Erich Lammert a luat bacalaureatul la Liceul Piarist din Timişoara. Studiază medicina şi ştiinţele naturii la Viena, Fribourg (Elveţia), Marburg a. L. şi Innsbruck (Austria). În 1936 şi-a dat doctoratul în medicină. A funcţionat ca medic la Königsberg (Kaliningrad – Prusia de Est), Nitzkydorf (Banat) şi la Timişoara. Între anii 1945-1948 a fost medic într-un lagăr pentru prizonierii de război în Uniunea Sovietică, iar de la 1949-1972, până la pensionare, medic de circumscripţie la Periam. Lammert s-a strămutat în anul 1985 în Germania Federală şi a murit în 1997 la Siegen (landul Renania de Nord-Vestfalia). Dr. Erich Lammert a fost membru al Societăţii Româneşti pentru Istoria Medicinei. A susţinut numeroase referate şi a publicat lucrări valoroase din domeniile: istoria culturii, lingvistică, etnografie şi istoria medicinei în ziare, reviste şi cărţi, printre care 13 lucrări (189 p., inclusiv articolul de faţă) în seria: Beiträge zur Volkskunde der Banater deutschen (Contribuţii la etnografia germanilor din Banat) la Timişoara, între anii 1973-1984. În lucrarea de faţă, Dr. Erich Lammert împarte medicina populară în trei categorii: empirism, magie şi medicină şcolară veche. Iar medicina savantă îşi are originea în medicina populară deşi multe medicamente îşi păstrează denumirea populară. Cauzalitatea bolilor se identifică adesea cu forţe demonice. Influenţa lor malefică se poate anihila prin formule magice rostite de către iniţiaţi. Există numeroase interdicţii şi acte de prevenire a bolilor. Practica medicinei populare utilizează numeroase plante medicinale, dar şi produse ale „Farmaciei vulgare.“ 1 Doctor în medicină, a profesat la Periam, a trăit până în 1997 la Siegen, Germania 22 memoria ethnologica nr. 42 - 43 * ianuarie - iunie 2012 ( An XII ) Key words: folk medicine, history of medicine, superstitions, cultural history, inter-ethnicity, German, Romanian, Banat Traditional Banat Health Recipies and Superstitions Related to Ilnesses Summary Adam, Emmerich (pseudonym since 1959: Erich) Lammert was born in 1912 in the Banat village of Mercydorf/Carani. His father, Adam Lammert was a teacher at the elementary school in Perjamosch / Periam. Erich Lammert completed his secondary school (Abitur) at the Temeswar/ Timişoara Piarist High School and studied medicine and natural sciences in Vienna, Fribourg (Switzerland), Marburg a. L. and Innsbruck. He obtained his Dr. med degree in 1936. As a physician he practiced in Königsberg / Kaliningrad (East Prussia), then in Nitzkydorf (Banat), and at the Realgymnasium of Temeswar / Timişoara. From 1945-1948, Lammert was a physician in a POW camp in the Soviet Union, and from 1949-1972 District Physician in Perjamosch, from where he retired in 1973. He came to Germany in 1985 and died in 1997 in Siegen (Nordrhein-Westfalen). Lammert was a member of the Romanian Society for the History of Medicine. He published valuable articles in the historical-cultural, linguistic, ethnic culture and history of medicine domains, in newspapers, magazines and anthologies, including 13 contributions (189 pages) in the series: “Contributions to the Ethnography of the Banat Germans”, in Temeswar / Timişoara, from 1973 to 1984. The present contribution deals with the origin of folk medicine from: empiricism, magic and ancient conventional medicine. Scientific medicine evolved from it, but drugs often kept their folk names. The causes of diseases are often attributed to demonic forces. Against them, magical incantations of knowledgeable persons are employed. Numerous regulations and prohibitions are used to prevent diseases. The popular treatment uses many herbs and - for a long time – also the products of the “dirty pharmacy”. 23 memoria ethnologica nr. 42 - 43 * ianuarie - iunie 2012 ( An XII ) Banater Volksmedizin und Krankheitsaberglaube Die alten Heilsprüche, Zauberhandlungen, Anschauungen, Deutungen und Praktiken der Volksmedizin sind zum schwindenden Brauchtumsgut geworden. Mündliche Überlieferungen geraten immer mehr in Vergessenheit, schriftliche Quellen fließen spärlich, denn neben den sparsamen Angaben einiger Dorfmonographien hat allein Hagel einen Teil der volkstümlichen Heilpraktiken wissenschaftlich untersucht. [Hagel 1928, p. Heft 4] Da der Volksmedizin der Banater Deutschen jedwelche Besonderheit abgeht, ist es angebracht, sie in Beziehung zur allgemeinen Volksmedizin zu stellen, sie brauchtumsgeographisch mit den südwestdeutschen Herkunftslandschaften zu verknüpfen und Interferenzen zur volkstümlichen Medizin der andern Völkerschaften des Banates aufzuspüren, was eine entwicklungsgeschichtlich-kulturhistorische Betrachtungsweise rechtfertigt. 1 Volksmedizuin und ihre Wurzeln Die späte Volksmedizin entwickelte sich im wesentlichen aus drei Wurzeln: der Empirie, der Magie und der alten Schulmedizin. Die Erfahrung lehrte die Menschen, die richtige Auswahl ihrer Nahrungsmittel zu treffen, zeigte ihnen die Heilkraft oder Giftwirkung von Pflanzen, ließ sie Methoden erkennen, sich gegen Ungeziefer und Parasiten zu wehren. Verletzungen, durch die Arbeit, die Jagd und Kriege verursacht, ließen die primitive Chirurgie zum Anfang einer Heilbehandlung werden. Nebst der Versorgung von Wunden, der Blutstillung und Behandlung von Knochenbrüchen, gehört auch die Geburtshilfe zum Anfangskapitel jeder Medizingeschichte. Dieser notwendigsten Hilfeleistungen waren auch in unseren jungen Dorfsiedlungen erfahrene Personen fähig: ältere Frauen besaßen die Fertigkeit, eine normale Geburt zu leiten, Schmiede, besonders heeresentlassene Kurschmiede, hatten Erfahrungen in der humanen und veterinären Primitivmedizin, Bader zogen Zähne und verstanden das Aderlassen. In einigen Dörfern gab es geschickte „Beenbruchheeler“, während sich die „Schweinsgelzer“ mit der Kastration von Haustieren befassten. Ausgangspunkt der Magie ist der Glaube an Kräfte und Dämonen, das Bestreben, die Macht der gutgesinnten durch Opfer, Gebet und Zauber zu wecken und sie zur Erfüllung persönlicher Wünsche wie Gesundheit, Kraft, Rache zu veranlassen; die dämonischen Unholde aber durch Spruch und Handlung zu bannen. Zu diesem Aberglauben führte auch das Bestreben, Unerklärliches zu verstehen, der Existenz und dem Kosmos Sinn und Deutung zu verleihen. Diese geistige Haltung ist allen primitiven Gemeinschaften eigen und erklärt das Gleichartige des Brauchtums, das sich erst später durch gesellschaftliche und zivilisatorische Differenzierungsprozesse, weniger im Inhalt als im Formalen änderte. Zu den primitiven Vorstellungen gesellten sich noch religiös-mythische Elemente hinzu, sowie das Ideengut der Gnostiker, Neupythagoräer, Neuplatoniker und der mittelalterlichen jüdischen Kabbalistik. 24 memoria ethnologica nr. 42 - 43 * ianuarie - iunie 2012 ( An XII ) 1.1 Magie in der alten Volksmedizin Versucht die aggressive schwarze Magie zur Sicherung eigener Vorteile oder zur Schädigung der Gegner die Kräfte und Wesen durch Besprechung, durch Berührungs- oder Übertragungszauber, durch Ähnlichkeitszauber und Sympathiezauber in Anspruch zu nehmen, so bemüht sich der Gegenzauber der defensiven weißen Magie durch Gebete, Amulette, Talismane, Reinigungsriten, Tabus u. a. Maßnahmen Schutz zu suchen. Außer dieser dämonischen Magie entwickelte sich seit Urzeiten eine magisch-astrologische Weltschau, die innigste Beziehungen und Entsprechungen zwischen Makrokosmos und Mikrokosmos annimmt. Das Gesetz der Entsprechungen, demzufolge alles zu allem in wechselseitiger Beziehung steht und nichts im großen geschehen kann, was nicht im kleinen sein Abbild fände, ist die magische Vorstufe jenes Kausalitätsgesetzes, auf dem unser ganzes wissenschaftliches Denken beruht. [Fülop-Miller 1938, p. 51] Gestirne und Naturkräfte überschatten das Schicksal von Mensch, Tier und Pflanze. Zum alten Inventar des Aberglaubens brachte die Renaissance durch das Studium antiken Schrifttums neues Material. Schon die Ägypter brachten die von den Chaldäern übernommene Astrologie mit der medizinischen Prognostik in Beziehung, die Neuplatoniker gestalteten sie zu einer mystischen Beziehungslehre aus. Im 13. Jahrhundert verhalf das Buch „De judiciis astrorum“ des Abeazen Haly der Astrologie zu hohem Ansehen, Cardanus und Paracelsus verquickten sie mit der Medizin und den Naturwissenschaften, vornehmlich mit der Chemie. Bei Vornehmen und Geringen spielten die Regeln für Unternehmungen, in der Medizin besonders für den Aderlass eine große Rolle (das Bild des „Aderlassmännchens“ verdeutlichte diese Regeln), die sich nach den Entsprechungen der einzelnen Körperteile, nach den Planeten und Tierkreiszeichen richteten. „Der Humanismus kommt dem ererbten Stück Heidentum mit einem literarisch erarbeiteten zu Hilfe.“ [Burckhardt 1928, p. 492] Die Renaissance kannte den Glauben an Vorzeichen, an den Schatten Verstorbener, an Dämone, an den Erfolg von Beschwörungen, an Zauberer, Mantik (Wahrsagekunst) und Magie. „Durch Pico della Mirandola trat das kabbalistische Denken in die westliche Zivilisation.“ [Oţetea 1968, p. 220] In seinen „Conclusiones philosophicae, cabbalisticae et theologicae“, Rom 1486, verband er im Angleichsversuch zwischen heidnischer Philosophie und christlicher Lehre die Philosophie des Plato und Aristoteles mit neuplatonischen und kabbalistischen Ideen. In der Renaissance entwickelte sich die Anschauung von Teufelspakt und Hexenwesen. „Allerhand lokaler Aberglaube, Überreste der heidnischen Kulte oder degradierte Formen christlicher Dogmatik wurden von den Inquisitoren in ein mehr oder weniger kohärentes Dämonensystem eingereiht. Es ist vollkommen ersichtlich ..., dass die neue Mythologie ihr System den Inquisitoren selbst verdankt.“ [Brătescu 1970a, p. 151] Mit dem „Hexenhammer“, (dem Malleus maleficarum) Jakob Sprengers, Köln 1489, fand das Lehrgebäude der Dämonologie seine Krönung. In der Hochrenaissance war die Doktrin und ein System der Dämonologie abgeschlossen. Theologen, Ärzte und Juristen glaubten an Hexen und an Magie. Auch die Reformation brachte keinen Wandel, p. Luther glaubte an die Existenz des Teufels, an Werwölfe, Wechselbälge und Kilkröpfe, Calvin glaubte an Hexen und ihr schädliches Wirken. Nach Siebenbürgen wurde die Hexenlehre von Kalvinisten gebracht. [Brătescu 1970a, p. 104] Im 16. Jahrhundert fasste Agrippa von Nettesheim im Buch „De occulta philosophia“, Köln 1533, die astrologischen, mantischen und medizinischen Anschauungen zusammen. Aus seinen Werken und jenen des Paracelsus kamen sie über die volkstümlichen Zauber-, Los-, 25 memoria ethnologica nr. 42 - 43 * ianuarie - iunie 2012 ( An XII ) Traum- und Rezeptbücher sowie über die Kräuterbücher und Kalender ins Volk. [Bach 1937, p. 168] Diese deutschen Volksbücher, wie auch die französischen grimoires enthalten als gesunkenes Kulturgut einst hochgeschätztes Wissen, das den Grundstock eines Teiles der Volksmedizin bildet. Heute hat Magisches für unsere Volksmedizin nur mehr historische Bedeutung, da es von anderen medizinischen Doktrinen (Homöopathie, Naturheilkunde, Chiropraktik, Parapsychologie u. ä.) abgelöst wurde. Ihre Existenz versucht man psychologisch zu erhöhen: durch Archetypen (Urbilder) des kollektiven Unbewussten, Psychopathie (von der Norm abweichendes geistig- seelisches Verhalten), Rückfall in kindliches Denken, durch Enttäuschung über die unzulänglichen Leistungen der modernen Schulmedizin, durch Leid, Schmerz und Todesangst hervorgerufene Stimmungen. [Săhleanu 1970, p. 702-715] 1.2 Verbindungen der Volksmedizin zur Schulmedizin Die Anfänge der wissenschaftlichen Heilkunde wurzeln in der Volksmedizin. Es ist oft schwer zu entscheiden, was aus der Volksheilkunde stammt und was als wissenschaftliche Errungenschaft zu betrachten ist, überdauerten doch volkstümliche heilkundliche Anschauungen auch bei Ärzten mit wissenschaftlicher Ausbildung bis ins 18. Jahrhundert. Andererseits drangen Praktiken der Schulmedizin ins Volk und wurden auch dann noch beibehalten, als die einst gängigen Lehren alter Ärzte überholt waren. Es ist in jeder Volksheilkunde, besonders in der gegenwärtigen, ungeheuer viel gesunkenes Kulturgut enthalten, das aus der wissenschaftlichen Medizin stammt.“ [Vătămanu 1970, p. 75-85] So geht die Vorstellung vom „Wurm als Krankheitsursache“ auf uralten Glauben zurück, der einst auch in der offiziellen Medizin galt. Die Anwendung der Nieswurz (Helleborus) ist bis in die babylonische Medizin zu verfolgen, die Räucherungen mit Nieswurz gegen den Zahnwurm anwendete. Heute werden bei Schweinepest und Rotlauf Stücke des Nieswurz in das entzündete Gewebe gebracht, bei Rotlauf führt man die Wurzel in den äußeren Gehörgang ein. [Jusco 1970, p. 155 f.; Simionescu 1970, p. 189] Auch die vielbelächelte Meinung, dass bei Halsentzündungen das „gefallene Zäpfchen“ durch einen Zug am Haarschopf gehoben werden müsse, wurde ursprünglich von Ärzten vertreten. Das „gefallene Zäpfchen“ war schon der arabischen Medizin bekannt, und der Anatom der Universität Montpellier, Henri de Mondeville (1260-1320) empfahl, durch einen Zug am „Schippel“ das Zäpfchen zu heben [Magyary-Kossa 1929-1940, Band 2, p. 288] Zahlreiche Arzneimittel der Volksmedizin entstammen der Schulmedizin, wie das Auenix (Augennichts, d. h. Zincum sulfuricum), dessen oft bewitzelter Name auf den alten Apothekernamen nihil album zurückgeht. Banciu bemerkt dazu, p. „Schon die Römer warfen den wertlosen Rest (nihil) nach der Zinkschmelzung weg.“ [Banciu 1970, p. 57] Unser Auenix heißt demgemäß bei den Rumänen apa de nimic, bei den Ungarn semmiviz. Unser Lorium pumporium ist das Unquentum populeum (Pappelsalbe) der alten Apotheker, im Rumänischen entstand durch Volksetymologie das unt al popii Ioan. Neuere volkstümliche Medikamente mit volksetymologisch gebildeten Namen sind z. B. Mathildenblau und Met-Thinde-bloo für Methylenblau, Perjamoscher Balsam für Balsamum peruvianum. Auch volkstümliche Krankheitsnamen kommen aus der Schulmedizin: Prospata für Prostata, schnelle Kathrein für Darmkatarrh, Porcelose für Brucellose. Viele volkstümliche Medikamente entstammen der alten „Dreckapotheke“, von deren Materialien sich vielleicht am längsten verschiedene Fettarten erhielten wie Bären-, Gelsen- und Schlangenfett. Man 26 memoria ethnologica nr. 42 - 43 * ianuarie - iunie 2012 ( An XII ) erwähnt sie heute als Beispiele eines lächerlichen Aberglaubens, vergisst aber, dass ihre Namen noch im 18. Jahrhundert in Apothekeninventaren vorkamen. Das anrüchige Gelsenfett verdankt übrigens seinen Namen einem Missverständnis, es besteht nämlich aus Fett und Ameisenspiritus, spiritus formicarum. Hierher gehört auch die Signaturtherapie. Mystische Vorstellungen sahen im Namen, in der Form, Farbe u. ä. Hinweise auf die Heilkräfte von Pflanzen und anderen Substanzen. „Die alten Anatomen verglichen die Hirnwindungen mit den Rauhigkeiten einer Nussschale, und die Ärzte verordneten deshalb gebrannte Nussschalen als Specifica gegen Hirnkrankheiten.“ [Hyrtl 1882, Band 1, p. 138] Ähnlich verhält es sich mit dem Glauben an die magischen Kräfte der Alraune, Atropa mandragora, deren Wurzel an die menschliche Gestalt erinnert. Nebst dem gesunkenen Kulturgut müssen jene Anschauungen und Prozeduren der Volksmedizin beachtet werden, die von der gelehrten Medizin aufgegriffen wurden und, wissenschaftlich verfeinert, zu epochalen Erfolgen führten. Es sei nur auf die Verwendung von animalischen Säften und Geweben oder die Vakzination gegen Pocken hingewiesen. 2 Volkstümliche Lehre von den Ursachen der Krankheiten Die Kausalitätsgier und das Bedürfnis des primitiven Denkens nach Personifikationen [Bach 1937, p. 362, 369] schufen in den Vorstellungen über Krankheitsursachen die dämonischen Gestalten der Hexen und Druden, der Nachtfrau, des Aufhockers, des Auswechslers, des Werwolfs und der Vampire, die Vorstellung vom benannten und unbenannten Wurm und die unbenannten Fieberdämone. Hexen und Druden bringen hauptsächlich dem Vieh Schaden. In seinen Mundartgedichten schildert Josef Gabriel der Jüngere (Gabriel/ Gabriel 1985) traditionelle Abwehrmaßnahmen: Am Stall tut’s Hufeise, die Sichl nitze, weil die drei Viech vor Trut un Hexe schitze. („Beim Hausbaue“) „Beschreien“ d. h. verzaubern, verhexen, können – im Volksglauben - sowohl Frauen als auch Männer: N. N., bist du beschrien von einem Mann, so helfe dir Sankt Johann. Bist du beschrien von einem Weib, so helfe dir Sankt Veit. Für die Brustschwellung („Hexenmilch“) der Säuglinge werden Hexen und Druden verantwortlich gemacht. Als Schutz stellt man einen Besen mit einer nassen Windel darauf vor das Schlüsselloch. Die Nachtfrau raubt den Kindern den Schlaf. Man sagt ihr den Spruch: Gute, Nacht, Nachtfrau, lass mein Kind schweigen 27 memoria ethnologica nr. 42 - 43 * ianuarie - iunie 2012 ( An XII ) und deines schreien. [Aus Neuarad, nach Hagel 1928, p. Heft 4, 7] In anderen Sprüchen wird die Dachtraufe angerufen: Es ging die Dachtrapp auf und ab, sie ging dann wieder auf und nieder. Bring meinem Kind den Schlaf wieder. [Aus Carani] Nächtliche Wanderer werden vom Aufhocker gepeinigt. Er springt ihnen auf den Rücken, seine Last wird immer schwerer, bis der Überfallene zusammenbricht. Im Saarland heißt diese Spukgestalt „Pittermännchen“ oder „Widdemännchen“ und wird als dickköpfiger Zwerg mit weißem Bart beschrieben. In Sackelhausen und Lenauheim heißt er „Druckmännchen“. Ein nächtlicher Würgedämon heißt bei den Serben losotije, auch er lauert einsamen Wanderern auf. Vom Auswechsler wird geglaubt, dass er gesunde Kinder aus der Wiege entführt und seinen kranken Wechselbalg in die Wiege legt. Schwachsinnige Kinder (bei Oligophrenie, postenzephalitischen Zuständen) wurden früher als Wechselbälge betrachtet. Diese Vorstellung ist nicht nur bei Deutschen, Engländern (changeling, urchin) und Schweden, sondern auch bei den Südslawen und Ungarn (váltott gyermek) bekannt. In Ungarn wurden rachitische Kinder als Wechselbälge angesehen. [Magyary-Kossa 1929-1940: Band II, p. 314] An kinderfeindlichen Unholden ist auch die rumänische Volkskunde reich, p. Die Baba coaja tötet die ungetauften Kinder. Sie wurde mit der Kinderschreckgestalt Frau Berchta mit dem Klumpfuß verglichen. Ein personifizierter Dämon der Kinderkrankheiten ist die Samca oder Avestiţa, gegen sie schützt Sankt Sisinnios (rumänisch Sisoie). Samca ist der serbischen Samodiva, Sila Samodia vergleichbar. [Bogrea 1971, p. 6, 10, 479] Erinnerungen an die Verwandlungsfähigkeit von Menschen in reißende Tiere, Wölfe oder Bären (in Carani erzählte man vom Bärwolf) waren noch im vorigen Jahrhundert lebendig. Der „Bärwolf“ überfiel die Leute und bedrohte sie an Leib und Leben. Bei den Banater Rumänen und Serben war der Glaube an die Wiederkehr Verstorbener weitverbreitet, die als Vampire an den Lebenden zehrten. Ein krankheitbringender Unhold dürfte auch der Hinsch (Hensch) sein, der in einigen Heilsprüchen vorkommt. Aus Großsanktpeter (Sânpetru Mare) stammt ein Spruch gegen das Milchfieber der Kühe: Der Hensch und der Drach gingen über den Bach. Der Hensch ist ins Wasser gefallen, der Drach ist verbrannt. Vermutlich geht Hinsch (Hensch) auf hünisch, von ‚Hüne‘, zurück. In der primitiven Phantasie entstand in Anbetracht der Hünengräber die Vorstellung von riesenhaften Dämonen, die auf Hinschbergen ihr Unwesen trieben und die es zu verbannen galt. 28 memoria ethnologica nr. 42 - 43 * ianuarie - iunie 2012 ( An XII ) 2.1 Heilsprüche gegen den Krankheitsdämon „Wurm“ Uralt ist die Vorstellung von einem Wurm genannten Krankheitsdämon, der im Körper von Menschen und Tieren haust und an ihrer Gesundheit nagt. [Hovorka-Kronfeld 1959: Band 1, p. 452] Die babylonische Medizin kannte den Zahnwurm, die griechische den skolex, die römische den carius, von dem der medizinische Terminus caries (Morschsein von Knochen und Zähnen, Zahnfäule) abstammt, und der auch in der rumänischen Volksmedizin weiterlebt. [Bologa 1959, p. 135] An die Auffassung, dass der Wurmdämon im Körper lebt, erinnert ein „Wurmsegen“ aus dem 9. Jahrhundert aus einer Handschrift von Tegernsee: „Pro nescia.“ Gang uz, nesso, mit niun nessinchlinen, uz fonna marge in deo adra, fonna den adrun in das fleisk, fonna demu fleiske in das fel, fonna demo velle in diz tulli! Der unbekannte (lat. nescia) Wurm soll in die Zwinge (tulli), mit der die Spitze am Pfeil befestigt ist, verbannt werden. Das Motiv der Aufforderung zum Verlassen des Körpers kommt häufig in Sprüchen gegen Krankheitsdämonen vor, z. B. in einem Spruch gegen die Auszehrung aus der Schwäbischen Türkei (Südungarn). [Kriss 1937, p. 44] Hagel zitiert einen Spruch aus einem alten Gebetbuch: ... kündige ich dir Wurm an, daß du sollst gleich und alsbald von diesem Blut, Bein, Fleisch und jedem sollst du weichen und absterben, du seiest der Blut-Wurm, der Fleisch-Wurm, der Bein-Wurm, der weiße Wurm, der rote Wurm, der grüne Wurm, der gelbe Wurm. [Hagel 1928, p. 8] Man hat die „farbigen Würmer“ mit der Färbung des Eiters bei verschiedenen eitrigen Entzündungen in Zusammenhang gebracht. Außer den angeführten Wurmarten ist in alten Sprüchen und Schriften die Rede vom Herzwurm, Magenwurm, Franzosenwurm (Syphilis, Rotzkrankheit der Pferde), Hirnwurm (Flecktyphus), Fingerwurm (eitriges Fingergeschwür), vom falschen, grauen, nagenden, fressenden, schlafenden, wälzenden Wurm, vom Holzwurm, toten Wurm und den 77 Wurmgesellen und schließlich vom ungenannten Wurm. Wie im Wurmsegen von Tegernsee enthält auch ein archaischer rumänischer Heilsegen gegen Schlangenbiss die Aufforderung, das Gift möge von Organ zu Organ bis zur Elimination wandern. Ediţi, prestiţ/ dedi di peliţi/ peliţi di carne carne di pi os/ osu sănătos/ veninul pi os în gios. Nach Candrea stammt das ediţi aus einem griechischen Spruch gegen Schlangenbiss; pieliţa hatte im Altrumänischen die Bedeutung von „Körper“. [Vătămanu 1970a, p. 197, 199] Häufig heißt der Krankheitsdämon das Ungenannte. Die Serben kennen den Krankheitsdämon nepomenik. Ungenannt ist der Dämon der Krampfanfälle: 29 memoria ethnologica nr. 42 - 43 * ianuarie - iunie 2012 ( An XII ) N. N. hast du Freisen, 77erlei Freisen, kalti und heißi und niemand weiß sie. [Aus Neuarad (Aradul Nou), nach Hagel 1928, Heft 4, 11] Ungenannt sind auch die 77 Fieberdämone. Nebst diesen Krankheitsdämonen schrieb man Leiden und Tod auch der Strafe Gottes zu, vor allem Epidemien wurden nicht nur von Laien, sondern auch von Behörden als Strafgericht Gottes betrachtet; deshalb sollten Messen, Prozessionen, Wallfahrten, Gelübde und Votivgaben das Unheil abwenden. Die volkstümliche Lehre von den Krankheitsursachen kennt allerdings auch rationelle Begründungen, p. Diätfehler, Fraß und Völlerei, Erkältungen, Durchnässungen, Zugluft, das Trinken von kalten Getränken u. ä. Weit zurückliegende Traumen sollen Krebs verursachen. 3 Vorhersage und Verhütung von Krankheiten Wenn es den Kranken sonntags besser geht, so ist für sie, nach der Volksmedizin, eine Verschlechterung zu erwarten. Vielfältig ist die Ankündigung des Todes, p. durch einen fallender Stern, den Schrei des Käuzchens, das nächtliche Jaulen des Hundes. Ein verstorbener Mann zieht bald eine Frau ins Grab und umgekehrt. Hieß es. Als Prognose für die Lebensdauer gilt der Ruf des Kuckucks, des alten Wahrsagevogels. [Schmidt 1941, p. 109] Gleichfalls galt: So viele Jahre lebt man noch, wie oft man pusten muss, um die Pappusfäden des Löwenzahns wegzublasen. Josef Gabriel d. J. zählt im Gedicht „Traam un Zaiche“ die vielen Zeichen (sogar Träume) auf, die man einst beachteten musste, um Krankheiten vorzubeugen. Zahlreich sind die Verhütungsregeln. Kommt eine Hexe oder Drude in Gestalt einer alten Frau morgens ins Haus, so beschenke man sie und heiße sie in Gottes Namen weiter gehen, dann ist die Drude erlöst und quält ihre Opfer nicht mehr. Gegen Hexen soll man eine Sichel in die Wand über der Stalltüre schlagen, damit sich die Hexe auf der Sichel aufreitet. [Hagel 1928, p. Heft 4, 8] Eindeutiger ist ein Spruch aus der Schwäbischen Türkei: Im Zimmer soll man einen Besen umgekehrt an die Wand stellen, das schützt vor Hexen und Auswechslern. Damit ein gesundes Kind nicht mit einem Wechselbalg vertauscht wird, sollen nach dem Gebetläuten die Fenster geschlossen werden, das Kind benetzte man mit Weihwasser und legte Rosmarinzweige in die Wiege. Als Schutz gegen Hexen galt, wenn man einen Rock oder Strumpf winsch, d. h. verkehrt anzog oder in der Walpurgisnacht Zaun und Tor mit Holunderästen behängte und das Drudenkreuz anbrachte. Durch Bewunderung können Kinder „beschrien“ werden. Die Redewendungen: unberufen, urbeschrien, rumänisch să nu fie de deochi, lat. absit invidia verbo deuten auf die Verbreitung und das Alter dieses Aberglaubens hin. Kohlen vom Osterfeuer schützen vor dem „Beschreien“ und dem „bösen Blick“. Wenn sie im Wasser sinken, so ist das Kind behext. Schwangere sollen es vermeiden, unter einer gespannten Leine durchzuschreiten, damit die Nabelschnur sich nicht um den Hals des Kindes wickele und es erdrosselt. Dies kann durch Rückwärtsschreiten vermieden werden. Schon Aristoteles empfahl, verbrannte Hundehaare auf Bisswunden zu streuen, da sie vor Tollwut schützen. [Magyary-Kossa 1929-1940, Band 1, p. 156] 30 memoria ethnologica nr. 42 - 43 * ianuarie - iunie 2012 ( An XII ) Zahlreich sind die vorbeugenden Verbote: Nach dem Abendläuten darf man keine Milch aus dem Haus geben, sonst stehen die Kühe trocken; zerstört man ein Schwalbennest, geben die Kühe rote Milch; den Fingerwurm bekommt, wer mit dem Finger auf den Regenbogen zeigt. Kleine Hühnereier, so genannte Kokoscheier bringen Unglück, man soll sie rückwärts übers Hausdach werfen. Für die „heiligen Nächte“, die „Raunächte“ (zwischen Weihnachten und Dreikönig), gilt: Back jo ke Brot, sunscht kommt ufs Haus e Fluch, ’s Brottuch bringt dir gar e Todetuch. ’s Bettzeich loss in Ruh in seller Zeit, sunscht ziehscht ’s nächscht ab deim Viech die Häut. Ke Sack, ke Wäsch derf uf ’m Bode hänge, ’s is net gut, muscht an die Viechshäut denke. Un dann gib owacht, gehscht du in die Mette, wann d’ hinfallscht, kann dich nix vorm Sterwe rette ... [Gabriel/ Gabriel 1985; Gabriel d. J. „Die Lostäch“] 4 Volkstümliche Heilbehandlung Durch die staatlich gelenkten Sanitätskurse wurden der Dorfbevölkerung die elementaren Kenntnisse der Wundversorgung beigebracht. Dadurch gerieten die alten Methoden der Volksmedizin (Benetzung mit Harn, Auflegen von Pferdemist, Spinngewebe, Zunder) in Vergessenheit. Bei Verrenkungen und Knochenbrüchen wird ärztliche Hilfe in Anspruch genommen, doch wenden sich noch manche Leute an die altrenommierten Beinbruchheiler. Als blasse Erinnerungen erhielten sich Heilsprüche bei Frakturen und Blutungen. Warme und kalte Umschläge gehören zur selbstverständlichen Hausbehandlung. Abgekommen ist das Schmieren mit Fett bei Halsschmerzen, dagegen wird mit Petroleum ausgepinselt. Schlammpackungen bei Rheuma loben besonders die Maroschanrainer, sonst greift man zur Wärmebehandlung mit heißen Topfdeckeln, Ziegeln, warmen Salz- oder Kleiesäckchen. Zur volkstümlichen Physiotherapie gehören auch Massagen, Einreibungen mit Schnaps, Kampferspiritus und Petroleum. Zur Reifung von Abszessen gebrauchte man „Ziehmittel“, Hasenfett, einen Teig aus Mehl, Hausseife und Muttermilch oder Fett, Terpentin und Eidotter, Salben aus Zwiebeln, Klatschmohn und anderen Pflanzen. Vielen Pflanzen werden natürliche und magische Heilkräfte zugeschrieben. Oft dienen sie lediglich als Vehikel bei magischen Prozeduren, so z. B. gab man bei Nieren- und Blasenleiden den Harn in eine ausgehöhlte Rübe, die dann in den Rauchfang gehängt wurde. Zugleich mit dem Austrocknen sollte auch die Krankheit schwinden. In der Volksmedizin gab es viele anerkannte Heilpflanzen, zumeist aus alten Kräuterbüchern bekannt. Zum Teil werden sie noch heute in pharmazeutischen Teemischungen verwendet. Auch volkstümliche Pflanzennamen erinnern an alte Heilkräuter, p. Gichterose, Scheißmelde, Flohkraut, Fraisendistel, Gliedwasserkraut, Zahnwehkraut u. a. Die Samen der Gichterose oder Pfingstrose (Päonie) wurden einst, auf einer Schnur gereiht, Kleinkindern um den Hals gehängt, um das Zahnen zu erleichtern und vor Gichtern (d. h. Krampfanfällen) zu schützen. Die Scheißmelde (Atriplex- und Chenopodiumarten) wirkt 31 memoria ethnologica nr. 42 - 43 * ianuarie - iunie 2012 ( An XII ) purgierend, daher ihr Name. Das Flohkraut (Osterluzei) vertreibt Flöhe, die Fraisendistel genannte Ackerdistel (Cirsium) wirkt gegen Fraas, also Krämpfe, das Gliedwasserkraut (die Blutwurz, Potentilla erecta) hilft bei Gelenksergüssen, daher auch ihr rumänischer Name scrîntitoare. Gegen Zahnschmerzen gebrauchte man das Zahnwehkraut oder Bilsenkraut (Hyoscyamus), das im Rumänischen den bezeichnenden Namen măselariţa führt. [Borza 1968, p. 137] Auch sonst hat die rumänische und die deutsche Volksbotanik viel Gemeinsames, p. Gegen Ohrenreißen gebrauchte man die Dachwurz, rum. iarba de urechi, urechelniţă, ung. fülbecsavaró [Brătescu 1970a, p. 197]; Lutschfetzen mit Mohn gab man den Säuglingen, rum. somnişor genannt. Die Wegwarte (Cychorium intybus) diente als Tee gegen Nierenleiden und Gelbsucht, Wacholderschnaps half als Magenmittel, aus den Früchten wurde eine Salbe gegen die Knuppe des Viehs zubereitet; als Salbe gebrauchte man die Königskerze gegen Hämorrhoiden, als Wundkraut empfahl man den großen Wegerich, den Spitzwegerich als Hustenmittel. Ein neueres Volksheilmittel ist der Krebskaktus (Aloe), empfohlen gegen Leukämie und zur Blutreinigung. Nach der rumänischen Bezeichnung Aloe doftor nannten die Deutschen sie Mediziner, Wunderkaktus. Viele Pflanzennamen erinnern an ihre Wirkung als Arzneimittel. So heißt etwa die Kirschpflaume (Prunus cerasifera) Stratzprunjer in Komlosch (Stratz – Durchfall) und Furzkriegl in Glogowatz. Auch Redewendungen deuten auf vermeintliche Eigenschaften hin, z. B. „vom Zeller steht der Hut schön“. Hier steht Hut euphemistisch für Phallus, die Sellerie galt nämlich als Aphrodisiakum und gehörte deshalb zum Hochzeitsgericht, wird aber auch gegen hohen Blutdruck verwendet, gleich dem Knoblauch. Diesen steckt man bei Schmerzen in den Gehörgang und in hohle Zähne. Andere Heilpflanzen sind, p. die Ringelblume (Calendula) und Osterluzei gegen schmierige, schlechtheilende Wunden, Tomatenstockabsud und Brennnessel gegen Rheuma, Tendlbeeren, Kornelkirsche (Cornus mas) und Haulikaul, großer Sauerampfer (Rumex acetosa) gegen Durchfall, wobei der Name volksetymologisch zu halber Gaul entstellt wurde. [Lammert 21. 04. 1972]. Fenchel und Kümmel kriegen die Kinder, damit sie phuppe können, Mutterblätter (Folia Sennae) ist ein mildes Abführmittel für Schwangere, Bohnenschoten wirken bei Nierensteinen, desgleichen Weggras, Vogelknöterich (Polygonum aviculare), Kirschenstiele wirken harntreibend. Kren, Meerrettich, legte man bei Kopfschmerzen in den Nacken, desgleichen Kartoffel- oder Speckscheiben auf die Stirn [Pink 1935] und Sauerkrautpletschen auf die Wade. Bei Husten bohrte man einen Apfel aus, legte Brustzucker hinein, briet und verzehrte ihn. [Banciu 1970] Maishaare versucht man bei Prostatahypertrophie. Pharmakologische Nachprüfungen haben ergeben, dass die Anwendung volkstümlicher Heilpflanzen recht oft durchaus sinnvoll ist. [Rácz/Lazăr-Szini 1970, p. 85; Spielmann/Rácz 1970, p. 65] 4.1 Sinn der „Dreckapotheke“ Viele Heilmittel der Volksmedizin gehen auf die alte „Dreckapotheke“ zurück. Dazu gehört die Verwendung von menschlichen und tierischen Ausscheidungen und anderer ekelerregender Substanzen. Schon in der mesopotamischen Medizin wurden den Kranken Urin, Fäkalien, Dung gereicht, damit diese den Krankheitsdämon zum Verlassen des kranken Körpers veranlassen. [Daniel/Negoiţă 1970, p. 83] Auch in der „Medicina“ des jüngeren Plinius finden sich Mittel der Dreckapotheke. [Gertler/Estel/Linder 1970, p. 150] Luther gab seiner Verwunderung Ausdruck, 32 memoria ethnologica nr. 42 - 43 * ianuarie - iunie 2012 ( An XII ) „daß Gott so hohe Artzney in den Dreck gesteckt hat.“ In Leutschau erschien 1644 die „Pharmacopoea nova in qua reposita sunt stercora et urinae...“ des Johann David Ruland und Stephan Bethlen, mit Empfehlungen für die Anwendung von Menschen-, Kuh-, Ziegen-, Schweine- und Mäusedreck. Drei Auflagen erlebte die „Dreck-Apotheke“ von C. F. Paulini [Paulini 1696], der „fast alle Krankheiten vom Haupt bis zu den Füßen“ mit Dreckmitteln kurieren wollte. Von der Antike bis in unsere Zeit hielt sich der Glaube an die Mittel der Dreckapotheke. Große Heilkraft wurde dem Urin, besonders dem Säuglingsurin, zugeschrieben. Ihn rühmte auch Madame de Sevigné in einem Brief vom 13. Juni 1685 an ihre Tochter: „Gegen meine Vapeurs nehme ich acht Tropfen Essence d’urine. Aber gegen meine Erfahrung hinderte mich das am Schlafen. Darum habe ich jedoch nicht den Glauben daran verloren ...“ Im Saarland trank man gegen die Gelbsucht den eigenen Urin [Fox 1927, p. 305], ein Brauch, der im Banat allen Nationalitäten bekannt ist. Auch frische Wunden werden mit Urin „desinfiziert“. Alt ist auch die Verwendung der Laus und der Wanze als Heilmittel. Matthiolus (+ 1577) empfahl Wanzen in Bohnenhülsen gegen Malaria, im Banat taten Läuse denselben Dienst. Felix Plater (1536-1614) wollte eine Besserung an Gelbsüchtigen gesehen haben, die Läuse verzehrten, in Deutschland versuchte man es mit Schafläusen. [Gertler/ Estel/ Linder 1970, p. 150] Auch die Kröte kann der Dreckapotheke zugeordnet werden. Sie gilt als Symbol der weiblichen Genitalien, darum ist die Krötenfigur aus Wachs eine häufige Opfergabe in katholischen Wallfahrtskirchen. Vermutlich galt die Kröte seit altersher als Amulett für leichte Geburten. Sie figuriert auch auf der magischen Hand von Tibiscum, die zum Kult des thrako-phrygischen Gottes Sabazios gehörte. [Lammert 1970, p. 298] Früher waren Kröten eine Apothekenware, so in einem Ofener Apothekeninventar von 1739: bufones exsiccati (getrocknete Kröten) 93 Stück. [Magyary- Kossa 1929-1940, p. Band II, S. 76] Belege für die Verwendung von Kröten im Banat bieten Pink und Hagel. [Pink 1935, p. 67; Hagel 1928, Heft 4, p. 11] Im Dorfe Ostern (Kleinkomlosch) legte man auf größere Eiterpusteln eine durchgeschnittene Kröte. Gegen Schwindelanfälle legte man einen Krötenschenkel um den Hals und sagte dazu einen Spruch. Auf Wunden gelegt, sollten Kröten die giftigen Säfte anziehen, und die Krankheit sollte auf die Kröte übertragen werden. Dafür sprechen Praktiken der mesopotamischen Medizin und die Verwendung von Kröten während der Pest. In Siebenbürgen umfasste die Dreckapotheke, p. Fuchslungen, Fuchsleber, Fett eines Gehängten, Ameisenfett, Pferdemark, Hühnerkot u. a. [Göllner 1971, p. 235 f.] Auch in der rumänischen Volksmedizin sind Mittel der Dreckapotheke reichlich vertreten. [Medicina populară 1970, p. 74 f., 105 f., 163 f., 232, 235, 255; Stoicescu 1970, p. 183 f]. Ähnliche Mittel kannte die Veterinärmedizin der Tamilen und Araber. [Leclainche 1936, p.35, 115; Banu 1970, p. 25, 31, 55] Aretino erzählt von den magischen Materialien der Renaissance, die auch zur Dreckapotheke gehören. [Burckhardt 1928, p. 504] In den alten Apotheken wurden viele Fettarten geführt, so verzeichnet das Inventar der Apotheke von Kaschau aus dem Jahre 1732 an die 50 pinquedines. [Simonescu 1970, Band IV, p. 90]. Hasenfett gehörte zur Hausapotheke der alten Banater, man bestrich damit Wunden. 33 memoria ethnologica nr. 42 - 43 * ianuarie - iunie 2012 ( An XII ) Trusă chirurgicală din sec. al XIX-lea; foto: Corina Isabella CSISZÁR Literatur Bach, Adolf (1937): Deutsche Volkskunde. 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